Ostern 2015
Markus 16, 1-16
Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß. 5Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. 8Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich. 9Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria von Magdala, von der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte. (10)Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren und Leid trugen und weinten. (11)Und als diese hörten, daß er lebe und sei ihr erschienen, glaubten sie es nicht. (12)Danach offenbarte er sich in anderer Gestalt zweien von ihnen unterwegs, als sie über Land gingen. (13)Und die gingen auch hin und verkündeten es den andern. Aber auch denen glaubten sie nicht. (14)Zuletzt, als die Elf zu Tisch saßen, offenbarte er sich ihnen und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härte, daß sie nicht geglaubt hatten denen, die ihn gesehen hatten als Auferstandenen. (15)Und er sprach zu ihnen: Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. (16)Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.
Liebe Gemeinde,
da denkt man, mit der Auferstehung Jesu ist alles wieder gut, und jetzt kann das Leben noch einmal ganz von vorn und ganz neu anfangen, und – dann glauben die das nicht. Seine Jünger und Anhänger glauben das nicht. Zuerst kommt Maria von Magdala, sie ist dem Auferstandenen begegnet, erzählt es ihnen. Und sie, sie klagen und weinen weiter. Schluss, Aus, Vorbei, so als wäre da nichts gewesen, als wäre alles beim Alten geblieben. Dann kommen die beiden Emmaus-Jünger. Auch sie haben Jesus gesehen, er ist ein Stück mit ihnen gegangen, doch bei den anderen, da will das weder in den Kopf noch in das Herz. Und erst, als Jesus mitten unter ihnen steht und ihnen nun wirklich auch gehörig den Kopf wäscht, da glauben und wissen sie es endlich auch: der Herr ist auferstanden. Und mit dieser Botschaft ziehen sie dann in alle Welt. Predigen, taufen und – mit der Hilfe Jesu, so wird es am Ende des Evangeliums berichtet – da gelingen ihnen die unglaublichsten Dinge und Taten. Kann man eigentlich nur sagen: Schön, dass das doch noch so gut ausgegangen ist.
Aber trotzdem. Dass sie da trotz der Botschaft „Der Herr ist auferstanden“, dass sie trotz der Botschaft vom auferstandenen Herrn da mit gesenkten Köpfen sitzen bleiben und in Resignation verharren, wer könnte das nicht auch verstehen. Ostern 2015, wo eben nicht nur in der Ukraine weiter geschossen wird, bedrohlich nah, wie ich finde. Wo der IS und Boko Haram und wie sie alle heißen weiter ihr unmenschliches Unwesen treiben. Wo Griechenland weiter taumelt und die EU im Nebel herumstochert. Ja und vor allem, wo der Flugzeugabsturz in den Alpen nicht nur unendliches Leid über Familien gebracht und ganzen Gemeinschaften und Orten den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Sondern uns auch klar gemacht hat, wie zerbrechlich unser kleines Leben ist, wie gefährdet dies bisschen Glück, das wir uns oft so mühselig erarbeitet haben.
Allerdings auch gezeigt hat, dass Solidarität und Anteilnahme oder Mitleid nach wie vor existieren, dass unsere Politiker doch oder auch Menschen sind, und dass dieses Land doch immer noch eine Seele hat, sogar eine christliche, wie ich finde. Aber trotzdem, wie soll man da weitermachen? Der Auferstehung trauen? Ostern für wahr halten?
Die Jünger damals, die hatten es vielleicht einfacher als wir. Sie hatten Jesus, den lebendigen Beweis der Macht Gottes unter sich und vor Augen.
Und wir, wir nicht. Aber wir – und das sollte man nicht unterschätzen, und das nicht nur, weil wir eine Kirche des Wortes sind – wir haben immerhin das Glück, solche Geschichten und solche Berichte zu haben. Die ich nicht beweisen kann und im Grunde auch nicht verstehen oder erklären kann. Außer, dass da etwas Außerordentliches, wenn Sie so wollen Unfassbares passiert sein muss. Etwas, dass die Jünger so verändert und der Geschichte einen neuen Verlauf gegeben hat. Bis heute, wo wir immer noch und immer wieder bekennen: „Auferstanden von den Toten.“
Und wenn man das, das Unwahrscheinliche, das, was alle Grenzen und Erfahrungen sprengt, wenn man das nicht wenigstens für möglich hält, wie soll dann etwas anders oder neu werden? Wie soll dann der Himmel auf die Erde kommen? Wie soll man dann dem Leben trauen? Oder dem Leben wieder trauen? Ostern 2015.
Und um das zu können da hilft mir keine Betroffenheits- oder auch Voyeurismus-Berichterstattung rund um die Uhr. Da brauche ich nicht die ständige Frage oder Suche nach Schuld. Auch keine psychologischen Gutachten ohne Ende, die doch nur kaschieren wollen, wie sehr sie da an ihre Grenzen geraten. Und auch keine neuen Absicherungen oder Sicherheitsbestimmungen.
Um dem Leben trotz allem trauen zu können, um wirklich leben zu können, dazu brauche ich solche Geschichten mitsamt ihren Symbolen und Bildern, die mich beflügeln. Brauche solche Erzählungen, in denen ich mitsamt meiner Welt – denken sie an das, was danach mit den Jüngern geschieht und bis heute weiter seine Kreise zieht – brauche ich solche Erzählungen, in denen ich samt meiner Welt nicht wiederzuerkennen bin. Allenfalls das, was alles noch aus mir werden könnte. Brauche ich Geschichten so wie diese heute, die mir Mut machen, auch über meinen Tellerrand zu schauen und über meinen Schatten zu springen, auch aus dem engen Horizont hinaus.
Davon erzählt mir die Ostergeschichte. Und das ist für mich die Auferstehung und darum glaube ich dran. Weil sie sagt: Ja, es ist noch nicht aller Tage Abend. Und es gibt immer noch eine letzte Gerechtigkeit. Weil das Vertrauen darauf mir wirkliches Leben, jenseits der Angst, ermöglicht. Weil das sagt: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden. Fürchte dich nicht, vor nichts und niemandem. Denn es ist mit den Tatsachen dieser Welt noch nicht abgetan. Gott kann und macht so viel mehr, und mit dem ist immer noch so viel möglich. Darum glaub nicht, dass das hier schon alles gewesen ist. Siehe, ich mache alles neu. Oder wer es gern weltlicher hätte: Es gibt Leute, die sehen etwas, das es gibt, und fragen: Warum? Ich aber träume von Dingen, die es noch nicht gibt, und frage: Warum nicht?
Darum, auch Ostern 2015: Ich brauche diese Geschichte von der Auferstehung und ich brauche Ostergeschichten. Auch die anderen übrigens, die mit einem Augenzwinkern die Vorläufigkeit hier belächeln und damit zugleich auch erträglich machen können. So wie die folgende.
Den Tod überleben
„Hast du eine Ahnung, wie viele Menschen du auf ihrem letzten Weg begleitet hast?“, frage ich Erwin. Er überlegt ein wenig. „Viele“, sagt er dann, „sehr viele sind es wohl geworden in den fast fünfzig Jahren. Irgendwann hört man auf zu zählen.“ Erwin hat Recht. Mir geht es ähnlich. Ich könnte die Frage auch nicht beantworten. Meine Gedanken gehen weiter. „Weißt du, Erwin“, sage ich, „manchmal denke ich: Irgendwann sind wir es selbst, denen man das letzte Geleit gibt.“ – „Ja“, meint Erwin, „irgendwann sind wir es selbst.“ Und nach einer kurzen Pause fährt er schmunzelnd fort: „Aber auch das werden wir schließlich überleben!“ Noch während ich überlege, wie ich auf diesen vermeintlichen Scherz reagieren soll, wird mir bewusst: Alles, was ich je bei Beerdigungen als Priester gesagt habe, alles, was ich zutiefst im Inneren glaube, alles, worauf die Christinnen und Christen ihre ganze Hoffnung setzen, hat der Erwin jetzt in einem einzigen Satz zusammengefasst. Ich bleibe stehen und schaue Erwin in die Augen: „Ja, du hast recht, Erwin – das werden wir auch noch überleben …“ Langsam gehen wir weiter in Richtung Sakristei. Es ist immer noch kalt. Trotzdem bricht schon immer öfter die Sonne durch. Wir gehen Ostern entgegen.
Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. So heißt es am Ende der biblischen Geschichte. Und man soll uns nicht vorwerfen können, das mit der Auferstehung nicht wenigstens geglaubt und das mit dem ganz anderen neuen Leben nicht wenigstens mal versucht zu haben.
So sei es. Amen