Bad Westernkotten 12.12. & Erwitte & Anröchte 13.12.2015

1. Kor. 4, 1-5

Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.

(2)Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als dass sie für treu befunden werden.

(3)Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht.

(4)Ich bin mir zwar nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist’s aber, der mich richtet.

(5)Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.


Liebe Gemeinde,

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Gottes Geheimnisse? Im griechischen, also im ursprünglichen Text steht da das Wort: „Mysterion“. Doch das hat Martin Luther übersetzt mit: Geheimnisse. Und ich denke, er hat das so gemeint, wie das im Zitat von Ralph Emerson zum Ausdruck kommt: „Mir ist lieber, in einer von Geheimnis umgebenen Welt zu leben als in einer, die so klein ist, dass mein Verstand sie begreift.“

Aber was ist aus diesem Geheimnis geworden? Und was haben wir heute aus Geheimnis gemacht? Nicht nur das ganze Jahr über, wo Geheimnis ja meist bedeutet: ich weiß was, aber sags nicht weiter. Alte westfälische Redensart. Sondern auch gerade zum Advent und zu Weihnachten. Was ist oder bleibt denn da noch geheimnisvoll?

Beispiel Nikolaus. Ich habe das 35 Jahre für die Kinder im Kindergarten gemacht oder gespielt. Ich habe da auch alle pädagogischen Strömungen und Modeerscheinungen mitbekommen. Vom Nikolaus, der den Kindern als pädagogische Keule ordentlich ins Gewissen reden musste. Aber wehe, er hat die Kinder gefragt, wie denn die Erzieherinnen so waren. Bis zum Mann in Rot, der sich vor den Kindern umziehen musste, damit die Kinder keinen Schock fürs Leben kriegten. Was die Kinder aber trotzdem nicht daran gehindert hat, mich anschließend doch als Nikolaus anzureden. Der ich dann für sie war, und das war in Ordnung. Denn für die Kinder, im Gegensatz zu den meisten Erzieherinnen, die oft alles verstehen wollten aber nichts kapiert hatten, für die Kinder, da hatte der Nikolaus noch etwas Geheimnisvolles und einen gewissen Zauber.

Und heute? Ich weiß von 2 Kindergärten, da gab es in diesem Jahr keinen Nikolaus mehr. Bleibt nur noch die Werbefigur auf der Straße. Aber glaube Sie im Ernst, dass man von der was über Menschliebe und über die Güte und auch die Sorge Gottes für uns lernen könnte? Dass der irgendein Geheimnis birgt? Das tiefer geht als nur bis in seinen Geschenke-Sack?

Mit den anderen Geheimnissen in dieser Zeit sieht es nicht viel besser aus. Da verrät uns der erste gerade jetzt das Geheimnis, reich zu werden. Weil man sparen kann, ohne Ende. Ein Beispiel: Möbelkauf. Jetzt schon, obwohl diese Branche traditionsgemäß ja erst nach Weihnachten dran ist. Aber sparen durch kaufen? Klingt zwar geheimnisvoll, aber ich habe gehört, dass bei so was und bei roten Preisschildern Dopamin frei wird. Ein Belohnungshormon. Aber das ist auch die einzige Erklärung, die mir einfällt. Und ich hoffe, dass der Herr uns davor bewahrt. Und auch davor, dass neben Halloween und Black Friday noch andere Sachen aus den USA zu uns rüberschwappen.

Das Geheimnis des nächsten in der Werbung ist, uns zu erklären, wie man seinen Status aufwertet. Ganz einfach: Indem man zu Weihnachten einen neuen BMW kauft. Aber außer der Frage, wie der unter den Tannenbaum passen soll, was ist daran geheimnisvoll. Denn mal ehrlich, ein neues Auto, solche Kleinigkeiten schenken wir uns doch jede Woche.

Und das dritte, was ich Ihnen nicht vorenthalten möchte ist ein Spiel zu Weihnachten. Shopping-Queen (Mode-Shopping-Sendung auf Vox, Bügelprogramm. Wenn Sie es nicht kennen oder gucken, Glückwunsch. Aber reinschauen sollten sie schon mal. Da weiß man, was man an den öffentlichen Programmen hat.) als Brettspiel. Geschenke-Tipp zu Weihnachten. Das Geheimnis, damit man beim Blick in den Spiegel nicht immer sagen muss: Mensch, ärgere dich nicht. Tolles Geheimnis.

Also, lieber Martin Luther, was ist aus deinem Wort, was ist aus deinem Geheimnis geworden. Und du hast es so gut gemeint mit dem Geheimnis Gottes. Aber vielleicht sagt uns das heute nichts mehr. Oder das Falsche. Und deswegen bin mir nicht sicher, ob Geheimnis heute noch der richtige Begriff ist. Für unser Leben und unseren Glauben. Für Gott und auch für diese Zeit vor und zu Weihnachten. Also vielleicht doch besser Mysterium. Ein Begriff, der einfach mehr aussagt. Der zum einen in die Tiefe geht und sagt, dass unser Leben noch andere Wurzeln hat, als das, was wir selbst machen und schaffen können. Zum andern, dass wir eben nicht nur auf unseren wackligen Beinen dies Leben bestehen müssen. Und der zugleich auf eine Weite weist, die größer ist als unser kleines Leben. Gottes Mysterium.

Nur, Theorie, fast alles bis hierher. Was aber ist gemeint, und wie ist das gemeint? Also ein bisschen ein anderer Versuch. Von einem und über einem Kollegen, der von seiner Kindergartentante erzählt. Früher durfte man das noch sagen. Von Tante Inge. Und bevor Sie denken, das sei Kinderkram, hören Sie erstmal hin.

Von seiner Tante Inge erzählt er, dass sie die beste und beliebteste Geschichtenerzählerin der Welt war. Und wie das wirklich mit Geheimnissen im ursprünglichen Sinn des Wortes ist.

Und dann: „Tante Inge erzählte, als wär man selbst dabei. Wie Hänsel im Wald weiße Kiesel auslegt, Stück für Stück, um den Weg zurück nach Hause zu finden. Wie Joseph in eine Grube geworfen und dann in die Fremde verkauft wird – von den eigenen Brüdern – und er ihnen am Ende doch allen das Leben rettet. Usw..

Alle Kinder liebten ihre Geschichten. Was hat sie anders gemacht als andere? Gewiss konnten auch andere Menschen erzählen und vorlesen, aber die wollten die Geschichten erklären und abschwächen, für uns Kinder zugänglich machen. Bei Tante Inge, da war es anders. Ja, da durfte das Seltsame seltsam sein, und das Unerklärliche unerklärlich, auch gruselig – und wir gaben uns dem in lustvoller Weise hin. Das Geheimnis musste geheimnisvoll bleiben, es musste bestehen bleiben, nicht erklärt und zerstört werden. … So war Spannung bei Tante Inge garantiert – aber eben auch die Gewissheit, aus einer Geschichte heil wieder herauszukommen. Die geheime Botschaft war: Die Welt kann furchtbar und grausig sein, aber du schaffst es hindurch. Du bist dabei nicht allein, nichts ist vergebens. Hab Mut und Vertrauen! Vertrauen, vielleicht ja auch die entscheidende Chiffre für Gott.“

Bei Tante Inge da durfte das Seltsame seltsam sein, und das Unerklärliche unerklärlich. Das Geheimnis musste geheimnisvoll bleiben, es musste bestehen bleiben, nicht erklärt und zerstört werden. Und um wieviel mehr als bei Hänsel und Gretel – oder heute bei Harry Potter oder Star Wars oder Ähnlichem, warum hat das wohl so einen Zulauf? – um wieviel mehr gilt das für uns und nicht zuletzt für Advent und Weihnachten.

Und natürlich kommen da auch Fragen aus der Enge oder dem Gefängnis unseres Verstandes: Zu Weihnachten. So ärmliche Gestalten. Warum tut Gott das? Hätte Gott sich nicht einfach runterbeamen können? Warum dieser doch eher anstrengende, ja monatelange Umweg über Maria? Wieso war es Jesus, Sohn der Maria und nicht Johannes, Sohn der Elisabeth? Und war dann schließlich der Himmel leer, als Gott geboren wurde? Kinder fragen manchmal solche Fragen, viele Erwachsene finden die Fragen schwer erträglich. Weil sie spüren: Vielleicht kann ich etwas antworten, aber damit ist es nicht getan. Das Mysterium daran, das lässt sich nämlich nicht erklären. Du musst das nicht erklären, du musst das ertragen und aushalten. Dich darauf einlassen. Erst dann wird dich das stark machen.

Das Mysterium von Advent: Die Herren der Welt kommen und gehen, unser Herr aber kommt. Die Welt hat ihren Endzustand noch nicht erreicht. Schwer zu glauben derzeit. Aber das ist versprochen. Und von Weihnachten: Gott wird Mensch. Welche Nähe und welche Wertschätzung. Nicht zu verstehen, aber gegeben. Und wenn Gott so an unserer Seite ist, in diesem Leben und noch eine ganze Ewigkeit dazu. Das ist erst Leben.

Sich darauf einlassen. Und merken: Das hat wirklich Tiefe und sagt, dass unser Leben noch andere Wurzeln hat, als das, was wir selbst machen und schaffen und erklären können. Dass wir eben nicht nur auf unseren wackligen Beinen dies Leben bestehen müssen. Und dass da zugleich eine Weite ist, die größer ist als unser kleines Leben. Gottes Mysterium.

Und, wo ich dazu schon mit einem Zitat angefangen habe, auch eins am Ende, das Mut dazu macht. Von Paul Zulehner: „Es gehört geradezu zur Würde eines Menschen, dass das Leben Fragment sein und Fragment bleiben darf. Im Vergleich zu früheren Generationen leben wir, die Heutigen, zwar länger, aber insgesamt kürzer: Denn früher lebten die Leute dreißig Jahre plus ewig und wir leben heute nur noch neunzig Jahre.“

Ein Geheimnis, ein Mysterium. Aber so ist es. Und so sei es. Oder wie es auf Griechisch heißt: Amen