2. Advent 2018 – Bad Westernkotten – Erwitte – Anröchte

Jesaja 35, 1-10.
1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien.
2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unsres Gottes.
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.
7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
10 Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Liebe Gemeinde,


seit einer Woche könnte man ja jetzt richtig durch- und aufatmen: Wenigstens schon mal ein neues Kirchenjahr, auch wenn 2018 kalendarisch noch gar nicht zu Ende ist. Aber 2018, wer wird dem eine Träne nachweinen? Nicht nur, weil ja viele unserer Medien beinahe schon eine Lust am Negativen entwickelt haben. Bis hin in die Niederungen eines Provinzblattes namens „Patriot“. Eine Lust am Negativen, wo sie – zumindest im Großen – das alles manchmal erst richtig wichtig machen. Oder aufblasen. Aber es ist ja wirklich so, dass man 2018 so manches schlicht vergessen oder Verdrängen möchte.
In Deutschland das Zerbröseln des Parteiensystems, und die wenigsten wissen wirklich, wozu das gut sein soll. Auch wenn, wie ich finde, die Debatten letzten Freitag vom CDU-Parteitag ja doch noch Hoffnung für die Demokratie geweckt haben. Und für Volksparteien, auch wenn es nicht die ist, die man selbst bevorzugt. Aber trotzdem und immer noch: das Ganze garniert mit Politikerinnen und Politikern, die uns auch oft ratlos zurücklassen. Die, die jetzt auf einmal wieder die Sehnsucht nach dem starken Mann wecken. Übrigens wirklich dem Mann, denn anscheinend sind 100 Jahre Frauenwahlrecht bei denen immer noch nicht angekommen. Oder die Politiker, die nie einen normalen Beruf auch mal ausgeübt haben und uns deshalb entrückt scheinen. Und schließlich die, die sich da neu hochgenölt und hochgemeckert haben, obwohl man denen an der Haustür doch nicht mal Schnürsenkel abkaufen würde. Geschweige denn eine Dackelkrawatte. Und ehrlich: „Das Ende ist nah!“ „Fürchtet Euch!“ „Wer hat Angst vorm …“ … weiß ich was auch immer, Hauptsache Angst. Das ist ja deren Botschaft. Ist das eine Alternative? Da ist ja wie früher bei den Sekten.
Leider sah es 2018 in der Welt nicht viel besser aus. Monopoly, Risiko und Poker als Stil oder Mittel der Politik. Dazu Populisten insbes. In Europa, die so dumm sind, dass es weh tut. Und allesamt Leute, die das Klima weiter vergiften, so und so. Eigentlich ja jetzt genug dieser Aufzählung.
Aber, als ob das alles nicht genug wäre für 2018, dann noch das grandiose Scheitern unserer Fußballnationalmannschaft. Jetzt sogar zweitklassig. Was soll man davon halten? Worauf jetzt noch stolz sein? Mit welchem Recht soll man am Swimmingpool jetzt noch seine Liege okkupieren?
Und mag ja sein, und ich hoffe und wünsche das auch, mag ja sein dass es für Sie und Euch persönlich und privat wenigstens noch ein gutes Jahr war. Trotzdem: nur noch ein paar Tage 2018. Und gut, dass wenigsten mit dem 1. Advent schon mal ein neues Kirchenjahr angefangen hat.
Und nach all den grau bis schwarz eingefärbten Worten und Gedanken endlich mal wieder andere, hellere Worte. Und, so wie es klingt, doch auch richtig gute Worte, die aufblicken lassen. Aus dem heutigen Predigttext.
Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! … Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
Ursprünglich gesagt zu den Israeliten, die nun wirklich erfahren hatten, was wüst und leer ist. Die etwa 50 Jahre unbehaust und heimatlos im Exil in Babylon leben mussten. Mit kaum Hoffnung auf Besserung oder Rückkehr. Und wenn, dann war das auch nur die halbe Freude, denn zu Hause, in Israel, da war kein Stein mehr auf dem anderen. Aber die bekamen das zu hören, und das hat sie gestärkt. Und aufgebaut. Und das waren keine leeren Worte. Denn, Zitat Bonhoeffer: Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen. Und für Israel hat es doch diesen Neuanfang dann auch gegeben.
Und eigentlich sehr schön, richtig schön, finde ich, wenn uns das oder so etwas auch gilt. Wenn solch eine Zuversicht uns auch beseelen würde:
Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! … Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen
Das müsste es doch eigentlich sein. Advent am Ende eines solchen Jahres. Oder Beginn zumindest eines neuen Kirchenjahres. Die Hoffnung und Zuversicht, dass diese Welt ihren Endzustand noch nicht erreicht hat. Auch nicht für uns. Auch mit dem Wochenspruch: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Das und so müsste es sein.
Und ich würde mich dem trotzdem nicht im Überschwang und mit Jubelgeschrei nähern, sondern eher vorsichtig und behutsam.
Übrigens auch, und das zum Einen, weil zweiter Advent ist. Jeder Adventssonntag hat ja so seine eigene Botschaft und Prägung. Und der zweite Advent ist da eben eher der gruselige. Also weniger Friede, Glühwein und Plätzchenbacken, sondern die sehr ernsthafte Warnung oder Aufgabe, sich mit dem Zustand der Welt und der Zukunft auseinanderzusetzen. Und das stimmt nicht immer nur fröhlich, ist keine Stimmung für den Weihnachtsmarkt.
Ja und zum anderen: Wenn man diese ganzen Worte, den Großteil dieses Textes, wenn man das zusammenfassen wollte, so ein bisschen griffig machen und vereinfachen, dann müsste man sagen, oder könnte man sagen: Was uns da versprochen ist, das sind blühende Landschaften. Nur, dieser Begriff, der weckt ja ganz eigentümliche Erinnerungen an eine Zeit, in der eben im Überschwang zu vieles nicht geklärt und bearbeitet und verarbeitet worden ist. Zu wenig ehrlich miteinander umgegangen worden ist. Darum, „Blühende Landschaften“, das weckt auch Angst und Befürchtungen, wenn man sieht, welche Ernte da derzeit insbesondere im Osten aus dieser Saat eingefahren wird. Will sagen: Die Verheißung bleibt, aber Vorsicht. Blinder Übereifer und auch Angst sind keine guten Ratgeber.
Und, natürlich vor Weihnachten, das muss ich jetzt einfach mal loswerden. Vor allem seit ich gestern Abend durch die L….straße gefahren bin: Mit blühenden Landschaften ist glaube ich auch noch etwas anderes gemeint. Etwa anderesals unsere derzeitige Überflutung mit allen möglichen Lichtfiguren, die einen fast schon belästigen. Und wo man das Gefühl hat, der Preis für den schlechtesten und kitschigsten Geschmack wird jedes Jahr neu ausgeschrieben. Und jedes Mal gewinnen die Billig-Supermärkte. Ergebnis: Der Lichtsmog des kleinen Mannes. Kein Wunder, dass die Leute dann versuchen, sich das auf den Weihnachtsmärkten schön zu trinken.
Und das Wunder ist für mich: Die Botschaft des Advent ist trotzdem nicht totzukriegen. Also Gott sei Dank für ein neues Kirchenjahr. „Die Herren der Welt kommen und gehen, unser Gott aber kommt.“
Und manchmal weiß man, das geht und stimmt. Und spürt man auch. Auch wenn das ganz kleine Sachen oder Zeichen sind. Mir ist das so gegangen am Buß- und Bettag in der Erwitter Kirche. Nicht nur, weil sie so gut besucht war, viele bekannte und vertraute Gesichter auch. Und auch noch ökumenisch. (Dass ich das noch mal wieder erleben durfte!) Aber dann der Eingangschoral der einen förmlich umhüllte, einsaugte, emporhob und mit allen und mit Gott und der Welt zusammengebunden hat. So habe ich das jedenfalls empfunden. Und nicht nur ich. Und heute übrigens auch. Mit den Posaunen und der Orgel, die uns ja einfach gepackt und mit hineingenommen haben in eine ganz andere Stimmung. Natürlich das im Kleinen. Oder kleingekocht, wenn sie so wollen. Aber so was stärkt meine Hoffnung, dass Gott die Welt und uns und mich noch nicht aufgegeben hat. Es nicht so bleiben muss, wie es ist. Die Hoffnung, dass das hier noch nicht alles war und ist.
Und es gibt Leute, die können das mit der Adventshoffnung viel besser ausdrücken als ich. So Fulbert Steffensky, gefunden im Kalender „Der andere Advent“ in dieser Woche:
Vielleicht heißt Hoffnung gar nicht der Glaube an den guten Ausgang der Welt und an die Vermeidung ihrer Zerstörung. Es garantiert uns keiner, dass das Leben auf der Erde in absehbarer Zeit nicht kollabiert, auch kein Regenbogen. Aber wir können tun, als hofften wir. Hoffen lernt man auch dadurch, dass man handelt, als sei Rettung möglich. Hoffnung garantiert keinen guten Ausgang der Dinge. Hoffen heißt, darauf vertrauen, dass es sinnvoll ist, was wir tun. Hoffnung ist der Widerstand gegen Resignation, Mutlosigkeit und Zynismus.
Die Hoffnung kann lesen. Sie vermutet in den kleinen Vorzeichen das ganze Gelingen. Sie stellt nicht nur fest, was ist. Sie ist eine wundervolle untreue Buchhalterin, die die Bilanzen fälscht und einen guten Ausgang des Lebens behauptet, wo dieser noch nicht abzusehen ist. Sie ist vielleicht die stärkste der Tugenden, weil in ihr die Liebe wohnt, die nichts aufgibt, und der Glaube, der den Tag schon in die Morgenröte sieht.
Also: Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Seht, da ist euer Gott.
Amen