Joh. 10, 11-16
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –,
13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.
14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,
15 wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
Liebe Gemeinde,
Karlheinz Binder, seines Zeichens erfolgreicher Topmanager eines Großunternehmens, erzählt:
„Wir hatten ihn eingeladen, um das Programm seines Management‑Trainingsinstituts vorzustellen, und weil er in der Branche ein bekannter und fast schon berühmter Mann war, hatte sich unser Vorstandsvorsitzender sogar die Ehre gegeben und sein Kommen angesagt.
Wir sprachen gerade noch einmal durch, welche Fragen wir nachher stellen wollten, als sie beide hereinkamen, der Chef und unser prominenter Gast. Er war nicht sehr groß, vielleicht 1,70 Meter, aber als er anfing zu reden, um für sein Institut zu werben, war ich zuerst beeindruckt und dann fasziniert.
,Meine Herren‘, sagte er mit einer klaren, energischen Stimme, und dabei blickte er jedem von uns kerzengerade in die Augen, einem nach dem anderen. ,Meine Herren, ich habe die Reise hierher nicht gemacht, um Ihnen Alltägliches zu erzählen, Sachverhalte, die andere genauso gut sagen könnten. Ich will mit Ihnen Substanzielles durchdenken und die Frage nach dem Sinn Ihres Handelns und Ihres Lebens stellen. Meine Worte sollen Ihr zukünftiges Denken beeinflussen!
Wenn Sie zum Beispiel am Morgen aufwachen, worauf freuen Sie sich dann?‘ Ich blickte unauffällig in die Runde. Zumindest im Augenblick sah keiner von uns danach aus, als freue er sich am Morgen. … Was würde ich antworten, wenn er mich jetzt fragen sollte? Ich wusste es nicht.
Klares Resultat: 1 :0 für ihn.“
So weit dieser Bericht.
Und sie können sich denken, dass die Frage jetzt an uns geht:
Worauf freuen sie sich, worauf freuen wir uns, wenn wir am Morgen aufwachen? — ?
Und wenn Sie diese Frage jetzt auch nicht sofort beantworten können oder wollen, oder wenn das schwierig für sie ist, lassen Sie uns das von einer anderen Seite her angehen.
Jeder Mensch möchte geliebt sein. Jeder Mensch möchte geliebt sein und anerkannt, möchte akzeptiert werden und das bedingungslos. Und jeder Mensch möchte auch, dass man sich um ihn sorgt und kümmert, egal, was geschieht, und dass er darum gut aufgehoben ist, bei sich selbst und in seiner Umgebung aber auch in dieser Welt und in diesem Universum. Und wenn man sich da ganz sicher ist, auch schon morgens beim Aufwachen, dann weiß man, dass dieser Tag schön wird, und dann kann man sich auf diesen Tag freuen, ganz gleich, was jetzt im Einzelnen Ziel der Vorfreude ist.
Nur: geliebt sein und anerkannt, akzeptiert werden und das bedingungslos, getragen und gehalten und gut aufgehoben in dieser Welt und auch in diesem Universum geborgen, das kann man sich nicht selbst machen. Nicht erzwingen, nicht einfordern, nicht einklagen.
Die wichtigsten Dinge im Leben, die werden geschenkt, die kommen von außen. Und unser Glaube – „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“.- unser christlicher Glaube gibt uns dies Grundvertrauen in die Welt und in uns selbst: Da gibt es einen Gott, und den gibt es wirklich. Und der weiß schon, was er mit uns vorhat. Und auch wenn wir mit manchem nicht einverstanden sind, was Gott tut oder was er zulässt, er meint es gut.
Und das ist die Zuversicht des Glaubens: Unser Leben ist von Gott begleitet und getragen, auch dort noch, wo die Wölfe in unser Leben einbrechen. Denn, so sagt Jesus: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Und ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ Welch ein Hirte.
Welch ein Herr, der so viel für seine Leute übrig hat. Nicht sich, sondern sie, die Menschen im Blick hat. Ich habe mal einen Iraner getauft. Und der sagte mir, genau das habe ihn so am christlichen Glauben fasziniert, ihn überzeugt.
Welch ein Herr, der nicht knechtet, sondern freigibt, der nicht an seinen Vorteil sondern an euer Glück denkt,
welch ein Herr, der euch leben lässt, sogar so, als ob es Gott, als ob es ihn überhaupt nicht gäbe. Und selbst, wenn ihr so lebt, der euch trotzdem nicht aus seinem Herzen entlässt.
Welch ein Herr, der nicht mit Strafe droht sondern mit Vergebung wirbt, der sich für euch zerreißt oder zerreißen lässt, damit ihr frei seid und aufrechten Ganges gehen könnt.
Und welch ein Herr, der in Gethsemane, als es ihm für diese Botschaft an den Kragen ging, der sich nicht hat abbringen lassen von seinem Weg, konsequent bis zum Ende, auf das alle sehen können: Der steht dazu. So ist Gott. Der gute Hirte, auch dir und mir. Grund genug und mehr als das, sich auf jeden Tag zu freuen.
Womit wir wieder am Anfang sind. Worüber oder worauf man sich dann freuen kann. Was ich für Sie und Euch ja nun nicht im Einzelnen sagen kann. Aber vielleicht kennen Sie diese Geschichte oder Aktion: Cafe sospeso.
Er kommt jede Woche um die Mittagszeit in dieses Café und geht zielstrebig an die Theke. Mit schmutziger Jacke und durchlöcherter Hose passt der Mann nicht in das Bild, das ansonsten von Businessmännern und -frauen beim Lunch bestimmt wird. Aber er wird nicht komisch angeschaut. „Steht noch einer auf der Liste?“, fragt er mit verrauchter Stimme. Die Bedienung sagt freundlich: „Moment, ich schaue gerade einmal nach“, und verschwindet kurz. Wenig später kommt sie wieder und sagt: „Ja. Kaffee, Latte Macchiato oder ein doppelter Espresso.“ Der Mann entscheidet sich für den Kaffee und setzt sich an den Tisch. Mit beiden Händen wärmt er sich an der Tasse und genießt jeden Schluck seines „Caffè sospeso“. „Caffè sospeso“ ist nichts anderes als gelebte Nächstenliebe. Die Idee stammt aus Italien, wo Kaffee quasi ein Grundnahrungsmittel ist. Es geht ganz einfach: Der Kunde bezahlt im Café nicht nur seinen eigenen Espresso, sondern zwei, drei weitere. Die kommen auf eine Liste und werden dann an Bedürftige weitergegeben. Einfach, aber wirkungsvoll. Durch das Internet verbreitete sich die Idee in den USA und seit einiger Zeit gibt’s auch in Deutschland die Aktion „Suspended Coffee“, das heißt „aufgeschobener Kaffee“. … Mit einem gespendeten Kaffee kann man wahrscheinlich nicht die Welt retten, aber ein gespendeter, heißer Kaffee kann in jedem Fall dafür sorgen, dass die Welt anders aussieht. Nämlich wärmer. Zumindest für eine Person und für einen Moment. Und verstehen Sie das Ganze ruhig auch als Gleichnis. Auch für den lieben Gott und für uns. Und was er uns alles schenkt.
Ich bin der gute Hirte. Der mir die wichtigsten Dinge im Leben schenkt. Keinen Cafe. Das sollen andere tun. Aber: jeden Tag neu. Den schenkt er mir. Umsonst. Ohne Bedingungen. Einfach so für mich. Ist das nichts? Grund genug und mehr als das, sich auf jeden Tag zu freuen.
So sei es. Amen.