18. Januar 2015 in Erwitte und Anröchte

Johannes 2, 1-11.

1Und am dritten Tage war eine Hochzeit in Kana in Galiläa, und die Mutter Jesu war da. 2Jesus aber und seine Jünger waren auch zur Hochzeit geladen. 3Und als der Wein ausging, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. 4Jesus spricht zu ihr: Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. 5Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. 6Es standen aber dort sechs steinerne Wasserkrüge für die Reinigung nach jüdischer Sitte, und in jeden gingen zwei oder drei Maße. 7Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis obenan. 8Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister! Und sie brachten’s ihm. 9Als aber der Speisemeister den Wein kostete, der Wasser gewesen war, und nicht wusste, woher er kam – die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten –, ruft der Speisemeister den Bräutigam 10und spricht zu ihm: Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten. 11Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

Vorbemerkungen:

Manchmal hat man den Eindruck, manche Dinge sind einfach gegen den Trend. Denn in Zeiten, in denen die Zahl der Wassertrinker immer mehr, die Kohlensäure im Wasser dafür immer weniger wird, in Zeiten, wo immer mehr Leuten Zusammensetzung und Mineralien des Wassers wichtiger sind als die Art und Weise, wie ein Korken gezogen wird, in solchen Zeiten kann man sich nicht ganz sicher sein, auch als Prediger nicht, ob das Weinwunder zu Kana – also Lebensfreude pur – das richtige Transportmittel für frohe Botschaft ist. Und dann noch die Terroranschlaäge der letzten 10 oder 12 Tage in Paris und in Belgien. Alles andere als Gute Nachricht. Aber was 2000 Jahre lang einer der wichtigsten Texte in der Epiphaniaszeit war, kann so falsch auch nicht sein. Und so will ich es versuchen.

Liebe Gemeinde,

man sagt ja von uns Westfalen, es würde uns überhaupt nicht schwerfallen unter Beweis zu stellen, dass wir auch mit Alkohol fröhliche Menschen sein könnten. Aber wenn man an biblischen Texten und ihrer Geschichte Spaß oder Interesse hat, beim Weinwunder zu Kana, da könnte man in dieser Hinsicht fast schon auf den Wein verzichten. Das muss die Leute im Laufe der Jahre mehr als nur angeregt haben.

Das fängt an bei dem Kandidaten der Theologie in England, der Schwierigkeiten mit dem Wunder hat, der sich aber irgendwie aus der Affäre ziehen muss und deswegen zu dieser Geschichte schreibt: „Als das Wasser seinen Herrn sah, da errötete es.“

Das geht weiter mit dem Pfarrer aus dem Schwäbischen, der sich die Männer aus seiner Gemeinde vornahm, weil sie seiner Meinung nach zu häufig beim Wein und nicht in der Kirche saßen. Und als sie ihm auf seine Vorhaltungen antworteten, das sei doch ganz in Ordnung, denn sogar der Herr habe doch Wasser in Wein verwandelt, da soll er ihnen gesagt haben: Na ja, aber sein bestes Stück ist das auch nicht gewesen.

Ein Bild habe ich gefunden aus einem Supermarkt. Über dem Regal ein großes Schild: Wasser. Im Regal aber lauter Weinflaschen. Und darunter noch ein Schild: Jesus war hier.

Dann noch der Mathematiker und Religionsphilosoph Blaise Pascal: „Das Fehlen des Weins in der menschlichen Gesellschaft ist so ein großes Elend, dass dieserhalb Jesus Christus das erste Wunder wirkte.“

Und schließlich war da noch der alte Kirchenvater Hieronymus, der – hämisch befragt, ob der Wein nicht schlimme Verführung sei und ob die Gesellschaft in Kana diese ganze Riesenmenge, etwa 600 Liter, wohl ganz allein ausgetrunken habe – der geantwortet hat: „Nein, wir trinken bis heute davon.“

Und das ist es in der Tat. Recht hat er. Wir trinken heute noch davon. Weil das eine Geschichte ist und ein Vorschlag zugleich, wie Leben gelingen kann.

Am einfachsten zu entdecken, wenn man sich mal auf eine ganz andere und ziemlich triviale Ebene begibt.

Sie alle kennen das, diese Rubrik aus Mode-, Trendzeitschriften und Fernsehen. Früher nur für Frauen, jetzt auch für Männer: Vorher – nachher. Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ, aus Kaputt mach Neu, aus Hässlich mach Schön, aus einem männlichen Schluffen-Paul einen Adonis und aus einer sehr umfangreichen weiblichen Vogelscheuche ein beschwingtes Modepüppchen. Und dann überkommt einen ja meist so der eine oder andere Gedanke.

Zuerst oft: Ist das jetzt wirklich eine positive Veränderung, und wissen die, wie die jetzt aussehen? Also ich, ich würde mir das ja nie antun und so was niemals anziehen. Aber, ein halbes Jahr später haben wir das auch an und finden uns dabei völlig normal und chic. Und folgen jeder Modetorheit, hängen jede Geschmacklosigkeit an unseren Körper, und schütten natürlich nur noch das in unsere Figur, was Gesundheitsapostel zertifiziert haben.

Und deshalb Vorsicht mit dieser Art von Kritik. Zumal das Leben schon grau genug ist, da kann ein bisschen Abwechslung, da kann ein bisschen Farbe und Variation nun wirklich nicht schaden.

Und dann doch lieber die anderen Fragen an solche Art von Lebensberatung: Sind das nach der typberatenen Verwandlung jetzt neue Leute? Ändert sich wirklich was? Wird unser Leben so schöner? Werden wir bessere Menschen? Und steigen Lebensgewissheit und Selbstzufriedenheit? Und Glück?

Und genau solche Gedanken sind der Schlüssel zum Weinwunder zu Kana. Wo aus einem monumentalen Flop von Hochzeitsfeier doch noch ein wunderschönes Fest wird. Weil Jesus da aus Kaputt Neu macht. Und Sie merken vielleicht schon: es geht gar nicht vordringlich um den Wein. Es geht um unser oft genug banales und ödes Leben, das mit ihm und durch ihn ein Fest werden kann.

Es geht um Lebensgewissheit und Sicherheit. Es geht um eigene Identität und Stärke. Und da sagt diese Geschichte uns allen und nicht zuletzt den armen Würstchen, die da ziemlich orientierungslos der Pegida hinterher stolpern. Und den anderen von der Gesellschaft Vergessenen:

„Wenn der Wein Eures Lebens ausgegangen ist, wenn die Krüge Eures Lebens leer sind; wenn der Hamster im Rad zu Eurem Lieblingstier geworden ist; und auch, wenn Ihr Euch nur noch herumgeschubst und nicht mehr beachtet fühlt, Euch fragt, wozu eigentlich das Ganze; und da hilft keine Typberatung, und dann hilft auch keine neue Frisur und keine neue Kleidung; und auch kein hilfloses Rundumgrölen, dass man das Volk sei; und schon lange keine grausamen Rundumschläge;

wenn also der Wein Eures Lebens ausgegangen ist, dann braucht es etwas anderes, und dann kann er, und das gilt zumindest für uns Christen wenn nicht für viele mehr, dann kann er, Jesus, Eure Krüge wieder füllen, randvoll bis oben hin. Und darum programmatisch dies Wunder zu Beginn des Johannesevangeliums. So ist das mit Jesus. Als Angebot. Aus Kaputt mach Neu. Macht er alles neu. Auch Euch. Mit einer so großen Menge von Wein, so dass wir heute noch davon trinken können.

Ich weiß. Klingt alles sehr steil. Auch für die, die ehrlich genug sind zuzugeben, dass in ihrer Existenz durchaus noch mehr Potential zum Leben und auch zum Lieben steckt. Und außerdem: Typberatung machen z.B. Guido Maria Kretschmer in der Shopping Queen oder auch Harald Glööckler (Er hat übrigens gesagt, er will wieder lachen und darum kein Botox mehr spritzen. Er habe sich im Spiegel gesehen und gemeint, das sähe aus wie Augsburger Puppenkiste. Also ich finde, das hat die Augsburger Puppenkiste nicht verdient.). Typberatung gibt es an jeder Straßenecke und Yokebe oder Almased in jeder Apotheke. Wo aber diesen Wein des Lebens?

Ich denke, das ist wie Weihnachten, wie Ostern, wie Pfingsten, und das sind ja nur die Eckpunkte. Da streckt nicht einer, da streckt er die Hand aus und sagt: Das ist mein Angebot. Ich halte dich, ich leite dich, ich gebe Dir Sicherheit und Festigkeit und ich lass Dich in allen Stürmen und Tiefen nicht los. Gehe da mit Dir durch. Was dir Leichtigkeit und Gelassenheit geben kann, dies Leben anzunehmen und auszukosten.

Die – seine – ausgestreckte Hand, die mich berühren kann. Und dann – weil sie mich berührt oder ich sie ergreife – passiert was. Ganz banales und – ich gebe es zu – triviales Beispiel. Und ganz anderes Genre. Und einfach schön, wie ich finde. Aber Beispiel:

Erinnern Sie sich noch an Paul Potts? Vielleicht haben Sie es auch gesehen. Es ist schon einige Jahre her. Talentwettbewerb in England. Der Handyverkäufer Paul Potts betritt mit der Nummer 31829 an der Jacke die Bühne. Er ist stämmig, wirkt unsicher, hat schiefe Zähne. Was ist von ihm schon zu erwarten? Und dann sagt er auch noch: „Ich möchte eine Oper singen.“ Skeptische Blicke unter den Juroren. Auch das Publikum wirkt bereit für den Spott. Dann erklingt die Musik, und Paul Potts beginnt zu singen.

Auf einmal ist alles anders. Gänsehaut. Tränen. Stille.

20 Sekunden lang rührt sich niemand, nur Paul Potts. Er singt die Arie „Nessun dorma“, das heißt „Keiner schlafe“ aus der Oper „Turandot“ von Giacomo Puccini (aus dem Jahr 1926). Paul Potts Gesang löst etwas aus: Schlafen kann jetzt wirklich keiner. Das Publikum steht auf, applaudiert frenetisch, jubelt. Die Juroren, die vorher Strenge und Desinteresse ausgestrahlt haben, sind ergriffen. Freundlich und weich schauen sie. Einer hält seine Hand unter sein Kinn, eine andere faltet ihre Hände, der dritte kommt aus dem Staunen gar nicht heraus, blickt um sich und scheint zu fragen: „Was passiert hier gerade? Ist das nicht unmöglich?“

Die Menschen wirken verzaubert.

Und vielen geht das ebenso. Mir auch, als ich das gesehen habe. Mittlerweile ist das verfilmt. Eine wunderbare, eigentlich eine unmögliche Geschichte. Ein Moment, in dem das Leben oder das Schicksal oder das Glück die Hand reicht.

Ja, ich weiß. Das Leben ist anders und uns geht es oft um ganz andere und genauso oft viel einfachere Sachen. Aber warum soll uns diese ausgestreckte Hand, dies Angebot vom Wein des Lebens nicht auch erreichen.

Vor 40 Jahren vielleicht, als es plötzlich eine neue und junge Kirchenmusik gab, die viele begeistert hat, unter anderem mit „Ave Eva“, der Mutter aller christlichen Musicals von Peter Jannssens, da wurde ein Text des Rheinischen Pfarrers Wilhelm Willms vertont:

„Ihr fragt, ist das denn wahr, dass Wasser ward zu Wein beim Fest zu Kana. Ich sage euch, versucht es doch, was damals ging geht heute noch.“

Wir trinken heute noch davon. Das Angebot steht.

Amen